Betreutes Trinken

„Uns läuft die Zeit weg"

In der Öffentlichkeit preist sich die Freie und Hansestadt Hamburg gerne als Metropole und Tor zur Welt an. In der Corona-Krise erweisen sich manche Lokalpolitiker aber als höchst provinziell und sitzen Probleme lieber aus.

Um den unter dem Corona-Lockdown leidenden Gastronomen unter die Arme zu greifen, ermöglichte es die Stadt Freiburg ihnen schon vor Wochen, Parkplätze für die Außengastronomie zu nutzen. Und auch in München ist dies gang und gäbe. Doch was in Städten wie Freiburg oder München erlaubt ist – mehr Tische auf die Gehwege oder in Parkbuchten zu stellen, um so wenigstens etwas Umsatz zu machen -, wird Hamburger Gastronomen weiterhin verwehrt. Während der Innensenator Andy Grote sich damit rauszureden versucht, alle geltenden Abstandsregeln eingehalten zu haben, als er in einer Bar gemeinsam mit 30 Freunden seine Bestätigung im Amt feierte, beißen Bar- und Restaurantbetreiber in den Szene-Stadtteilen St. Pauli, Schanze und Ottensen auf Granit. Auf einen Offenen Brief an den Hamburger Bürgermeister, in dem der Gastronom Stephan Fehrenbach darum bat, Außenflächen vor seiner Laundrette-Bar nutzen zu dürfen, erhielt er bis heute keine Antwort. Und eine entsprechende Eingabe von 38 Ottenser Gastronomen wurde von allen Parteien des Bezirks Altona, zu dem der Szene-Hotspot gehört, abgelehnt; allein die FDP enthielt sich der Stimme.

Statt tätig zu werden, verwies das Bezirksamt Altona darauf, dass der zuständige Wegewart Anträge, den Platz vor einem Lokal für die Außengastronomie nutzen zu dürfen, in Absprache mit der Polizei bewerte und gegebenenfalls Empfehlungen an die politischen Gremien ausspreche. Die haben eine Lösung des Problems aber vorerst verschoben — in die Zeit nach der parlamentarischen Sommerpause. Fehrenbach: „Erst haben wir auf die Senatsbildung gewartet, jetzt sollen wir die Urlaubszeit abwarten. Uns läuft aber die Zeit weg.“

Während in anderen Hamburger Bezirken Erweiterungen der Sommerterrassen zügig geprüft und genehmigt wurden, verschanzt sich die Altonaer Bezirksamtsleiterin Stefanie von Berg hinter den Sorgen von Anwohnern, der Stadtteil Ottensen könne zur Partymeile werden – was er längst ist. Und während Fehrenbach und Kollegen sich die Haare zerraufen und fragen, ob sie nicht lieber ihre Mitarbeiter entlassen und den Laden über den Sommer schließen sollten, in der trügerischen Hoffnung auf einen besseren Herbst, trifft sich die Szene in unmittelbarer Nachbarschaft am Alma-Wartenberg-Platz zum Cornern – dicht gedrängt und ohne die geltenden Abstandsregeln einzuhalten. Fehrenbach fällt es somit schwer, die Ignoranz der Bezirkspolitiker wegzulächeln: „Wir sind seit Jahren vor Ort und bemühen uns immer, uns mit den Anwohnern zu verständigen. Wir achten darauf, dass die Lautstärke unserer Gäste der Uhrzeit angemessen ist. Wir bieten hier sozusagen ,betreutes Trinken‘ an.“ Wohin unbetreutes Trinken führe, könne man ja an jedem Wochenende sehen, wenn gleich um die Ecke gecornert werde oder es wie in Stuttgart zu Ausschreitungen komme. 

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