Ode an einen jungen Koch

Die neue Wertschätzung

Maylis de Kerangal verneigt sich in ihrem Roman „Porträt eines jungen Kochs“ vor allen Vertretern dieser Zunft, für die das Kochen eine nie endende Leidenschaft ist.

Eigentlich hatte Mauro nie daran gedacht, Koch zu werden. Seine Familie schwamm nicht im Geld, die täglichen Mahlzeiten glichen aber einem Ritual, bei dem Wohlgeschmack und Abwechslung im Mittelpunkt standen. Mit zehn Jahren backte er jeden Tag nach der Schule einen Kuchen und kochte schon bald darauf jeden Samstag für seine Freunde. Doch dann studierte er lieber Wirtschaftswissenschaften, als eine Kochlehre zu absolvieren.
Im Sommer jobbt er in einer Brasserie, die sich der gastronomischen Kultur verpflichtet fühlt, und entdeckt so die bürgerliche französische Küche für sich – aber nur, um Geld für den Urlaub mit seiner Clique zu verdienen. Etwas später absolviert er ein unbezahltes Praktikum in einem Sterne-Restaurant, um sich weiterzubilden, doch weil man ihn dort nur wie Dreck behandelt, sammelt er seine Messer wieder ein und geht mitten in der Arbeit, um kurz darauf in einer familienbetriebenen Brasserie anzuheuern, wo er lernt, mit dem Stress der Stoßzeiten umzugehen. Als die Ferienzeit vorbei ist, kehrt er aber wieder an die Uni zurück, weil es nicht sein Ding ist, sieben Tage in der Woche von morgens um sieben bis zwei Uhr nachts zu malochen.

Anschließend arbeitet der Jungkoch in einem Feinschmeckerbistro und erlebt, wie ein Restaurant von menschlichem Zuschnitt funktioniert. Weil sein gesellschaftliches Leben in dieser Zeit verkümmert, beendet er aber auch diesen Job und legt stattdessen die Abschlussprüfung zum Koch ab und macht seinen Master in Wirtschaft. Gemeinsam mit seinem Vater eröffnet er sein erstes eigenes Restaurant, da ist er gerade mal 24 Jahre alt. Das La Belle Saison wird schon bald von einflussreichen Feinschmeckern empfohlen, weil Mauro immer wieder Rezepte neu erfindet. Er knüpft beim Einkauf auf dem Markt Beziehungen, die für das reibungslose Funktionieren eines Restaurants notwendig sind, kommt vor lauter Arbeit aber nicht mehr dazu, sich mit Freunden zu treffen. Also verkauft er sein Restaurant und fliegt erst mal nach Thailand, um sich zu erholen und seinen Akku aufzuladen. 

Es dauert nicht lange, da steht er aber in einem schicken italienischen Restaurant in Bangkok erneut hinter dem Herd und lässt sich in die neuesten kulinarischen Tendenzen einweihen. Er lernt das Sous-vide-Verfahren, der verzerrte Blick auf die Schönheit schreckt ihn jedoch ab, und so kündigt er ein weiteres Mal, reist nach Birma und findet eine Straßenküche vor, die ihn begeistert. Zurück in Frankreich, wird er von einem Star-Koch als Chef de Partie für ein Drei-Sterne-Restaurant verpflichtet. In einem anderen boomenden Restaurant wird er Sous-Chef, doch nun träumt er von einem Restaurant, „das nicht mehr nur als Bühne konzipiert ist, wo sich die gloriose Kreativität eines Einzigen ausdrückt, sondern als Ort der Beziehung zum Anderen und eines kollektiven Abenteuers“.

Ob es jenen Mauro wirklich gibt oder er allein der Fantasie der Schriftstellerin Maylis de Kerangal entsprang, ist dabei unerheblich. Das bereits 2016 in Frankreich erschienene, aber erst jetzt ins Deutsche übersetzte Porträt eines jungen Kochs könnte ebenso gut von Stephan Marquard, Lucki Maurer oder Sophia Grupe handeln, von Ole Plogstedt, Johann Pilz oder der Kochbox. Und so schmal das 94-seitige Bändchen auch ist, so üppig wird darin das Kochen beschrieben. Ein Lesegenuss, der Appetit macht und uns daran erinnert, was in dieser Corona-geplagten Zeit am meisten fehlt: Leidenschaft und Hingabe.

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